Bevor Gefriertruhen in den Haushalt einzogen, gab es in vielen Orten sogenannte Kalthäuser
in Damnatz im Wendland schwören die Menschen bis heute aufs gemeinsame Einkühlen / Von Joachim Göres
( Mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Rundschau )
J. Göres |
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Ein unscheinbares Backsteinhäuschen steht am Wegesrand. Wenn man näher kommt, hört man ein Dröhnen aus dem Inneren. Matthias Blanck schließt die Eingangstür auf und das Geräusch wird lauter. Es stammt von einem Kältekompressor, der für Minusgrade in dem 28 Quadratmeter großen Gebäude sorgt. Es handelt sich um ein Kalthaus in Damnatz, einen kleinen Ort im Wendland, in dem rund 300 Menschen leben.
In den insgesamt 42 Fächern im Kalthaus lagern größere Mengen Gemüse, Wurst und Fleisch. „Jeder hat zu Hause eine Truhe oder einen Gefrierschrank, aber da passt nicht alles rein, wenn man zum Beispiel vom Landwirt ein halbes Schwein kauft“, sagt Blanck und fügt hinzu: „Für größere Feiern werden die Fächer auch genutzt, um Getränke oder Torten zu kühlen.“
Vor dem Kalthaus von Damnatz steht ein Fahrradständer mit der Zahl 1955 darauf, dem Jahr der Eröffnung. Bis auf den in den 80er Jahren angeschafften Kompressor ist alles noch im Originalzustand: Der gekachelte Vorraum mit dem Vorfroster, in dem bei minus 28 Grad frisches Fleisch schockgefroren werden kann sowie die beiden Gefrierräume mit Temperaturen von minus 8 und minus 18 Grad.
In den 50er Jahren entstanden auf den Dörfern überall solche Gemeinschaftsgefrieranlagen, weil damals kaum jemand zu Hause die Möglichkeit zum Einfrieren hatte und auf den Dörfern viele Haushalte nebenher noch Geflügel und Vieh hielten und die Hausschlachtung verbreitet war.
Mit dem Einzug moderner Gefriergeräte in die Haushalte mit Beginn der 70er Jahre verschwanden dann die Kalthäuser nach und nach – nur im Wendland sind laut dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege noch heute rund ein Dutzend solcher Kalthäuser in Betrieb. Warum ist das Wendland die Hochburg? Blanck kennt einige der Gründe: „Viele haben hier Gemüsegärten. Fleisch kauft man gerne in Paketen ab zehn Kilo bei Landwirten in der Region, die ihre Tiere gut halten. Zudem gibt es zahlreiche Jäger, die zum Beispiel Wildschweine schießen und das Fleisch im Kalthaus lagern.“
Ein 100-Liter-Fach kostet im Jahr 55 Euro Miete, und viele, die das Kalthaus nutzen, haben auch mehrere oder größere Fächer und zahlen entsprechend mehr. Für die rund 30 Mitglieder eine überschaubare finanzielle Belastung, auch wenn der Betrag wegen steigender Stromkosten vor drei Jahren angehoben wurde – alle Fächer sind belegt.
Auch junge Familien nutzen das Kalthaus. Die Nähe zu dem Kalthaus mitten in den kleinen Orten im Wendland mag auch eine Rolle spielen, zudem haben in Damnatz alle, die es nutzen, einen Schlüssel für das Gebäude und können kommen und gehen, wann es passt. Im Wendland gab es einst mehr als 100 Kalthäuser. Die meisten wurden abgerissen, andere zu Geräteschuppen, Imbiss, Ferienhaus, Dorfarchiv, Garage, Werkstatt oder Bürgermeisterbüro umfunktioniert.
Mittlerweile haben es Kalthäuser auch ins Museum geschafft. Das Freilichtmuseum Lindlar im Bergischen Land zeigt unter dem Motto „Schwein gehabt“ die wiederaufgebaute Gemeinschaftsgefrieranlage, die einst in Medebach-Dreislar im Sauerland stand. Und im Fränkischen Freilandmuseum Fladungen ist ein Kalthaus aus Nordheim in der Rhön zu sehen.
Das Kalthaus in Damnatz gehörte einer Genossenschaft. Nach der Auflösung wurde ein Verein gegründet, deren Vorsitzender Jörg Schumacher ist. Der 72-Jährige erklärt, was es mit dem Schild „Bitte Wild mit Laken abdecken“ im Vorraum auf sich hat: „Jäger haben hier manchmal ein Wildschwein aufgehängt, bevor es verarbeitet wurde. Mancher Nutzer des Kalthauses hat einen Schreck bekommen, wenn er nichtsahnend den Raum betreten hat und das Wildschwein dort hängen sah.“
Der Hauptgrund für die vielen noch funktionsfähigen Kalthäuser im Wendland ist aber technischer Natur: Solange die Kühlaggregate laufen, die 40 Jahre und älter sind, ist der Betrieb gesichert – fallen sie irgendwann einmal aus, ist die Schließung programmiert. „Bisher konnten wir immer selber kleine Dinge reparieren, aber bei einem Komplettausfall lohnt sich eine Neuanschaffung nicht. Wir müssten dann auch ganz neue Leitungen legen lassen, das wäre viel zu teuer“, sagt Blanck und blickt voraus: „Es kann morgen vorbei sein oder auch noch zehn Jahre alles gut laufen.“ Der 66-Jährige trägt seinen Teil zu einer möglichst langen Zukunft des Damnatzer Kalthauses bei: Er kontrolliert dreimal die Woche die Anlage, taut regelmäßig das Eis ab, hält das Innere sauber und ist auch für die Abrechnungen zuständig. „Das hat sich so ergeben. Ich bin mit dem Kalthaus aufgewachsen, mein Vater war einer der Mitgründer.“
J. Göres
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